Wenn das Leben die besten Geschichten schreibt

Schon ganz zu Anfang meiner Recherchen über mögliche Themen für historische Romane, die im Westerwald angesiedelt sind, begegnete mir eine außergewöhnliche Figur der lokalen Geschichte: Gräfin Louise Juliane von Sayn und Wittgenstein.
Überraschend viel ist über diese Frau im Internet zu finden, die es mitten in den Wirren des 30jährigen Krieges geschafft hat, sich gegen eine Vielzahl mächtiger Widersacher durchzusetzen. Familienzwistigkeiten gepaart mit politischen Intrigen, persönliche Schicksalsschläge sowie Angriffe auf Leib und Leben – nichts konnte diese Frau davon abhalten, am Ende zu ihrem Ziel zu kommen.

Tatsächlich wurde über sie bereits ein Roman verfasst: Die Gräfin von Sayn von Karl Ramseger-Mühle, erstmals erschienen 1932. Dieser Roman befasst sich hauptsächlich mit dem frühen Leben der Gräfin, beginnend mit ihrer Heirat mit Ernst von Sayn und Wittgenstein, der vermutlich ein schweres Herzleiden hatte, weswegen seine Gemahlin ihn in vielen Bereichen bei den Regierungsgeschäften unterstützte. Er starb 1632. Sein Sohn Ludwig war zu diesem Zeitpunkt noch ein kleines Kind, sodass Louise Juliane als Vormünderin die Regentschaft übernahm. Doch dann starb auch der Erbgraf mit sieben Jahren. Damit war die männliche Linie erloschen, die Halbbrüder und Cousins von Graf Ernst erhoben ebenso Anspruch auf die Grafschaft wie der Kurfüst von Köln, der sie dem Bischof von Osnabrück als Dank für treue Dienste vermachen wollte.

Schloss Friedewald, Witwensitz der Gräfin Louise Juliane

Allerdings gab es ein Testament von Graf Ernst, in dem er im Falle des Todes seines Sohnes seine Töchter zu Erbinnen ernannte. Auf Basis dieses Testaments strengte die Gräfin einen zwölf (!!!) Jahre währenden Rechtsstreit an, der bis in die höchsten Instanzen ging und letztendlich mit Gegenstand der Verhandlungen des Westfälischen Friedens war. Man mag es glauben oder nicht, aber sie gewann allen Widrigkeiten zum Trotz.

Ihre Lebensgeschichte liest sich schon in der Zusammenfassung wie ein Abenteuerroman: Sie wurde in ihrem eigenen Schloss vom Bischof eingesperrt, um sie auszuhungern, doch sie konnte in einer Nacht- und Nebelaktion fliehen. Zuflucht fand sie auf der Freusburg, nur um dort vom Kurfürsten von Trier in ähnlicher Weise festgesetzt zu werden. Wieder floh sie, diesmal in den rettenden Schutz des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt, einem Verbündeten. Endlich in Sicherheit, griff sie zur Feder und erwirkte einen Rechtsbeschluss nach dem anderen, die in den Kriegswirren jedoch allesamt ignoriert wurden. Sogar ein kaiserlicher Erlass blieb wirkungslos. Gab sie auf? Nein.

Spätestens an diesem Punkt war mir klar: Diese Geschichte ist zu gut, um sie nicht aufzuschreiben. So viel über die Gräfin selbst zu finden ist, so mager ist die Ausbeute bezüglich ihrer Töchter. Das kam mir gerade recht, denn es erlaubte mir die nötige dichterische Freiheit. Ich beschloss, mich mit der späteren Lebenszeit der Gräfin zu befassen, sozusagen als Fortsetzung des bereits bestehenden Romans, diese jedoch aus der Sicht der ältesten Tochter Ernestine zu erzählen. Ich fragte mich, wie man wohl im Schatten einer solchen Koryphäe von Mutter aufwächst, unter so schwierigen Lebensumständen und in ständiger Bedrohung, und das auch noch in einer Zeit, in der Gräfinnen hauptsächlich als Gebärmaschinen für die Erbfolge betrachtet wurden. Nichts war wichtiger als ein männlicher Nachkomme. Die Kindersterblichkeit war enorm hoch und auch die Gräfinnen erlagen häufig schon in frühen Jahren den Strapazen der Geburt.

Gedenkmünze geprägt anlässlich des Todes der Gräfin Louise Juliane

Interessanterweise liegen in den Staatsarchiven drei Eheverträge für Ernestine mit verschiedenen Männern, von denen aber nur einer am Ende Gültigkeit hatte. Für die anderen gibt es Aufhebungsverträge, die ich zu gern gelesen hätte, doch das ist aufgrund der alten Handschriften extrem zeitaufwändig. Der Mann, den sie letztendlich geheiratet hat, war ein äußerst fortschrittlicher Mensch, dem das Wohl seiner Untertanen mehr am Herzen lag als sein eigener Profit – in Zeiten des Absolutismus eine Rarität. Diese Haltung sagt man auch der Gräfin Louise Juliane nach, ebenso wie dem Landgrafen Georg. Sie waren alle gottesfürchtig und nahmen die ihnen auferlegte Verantwortung gegenüber dem Volk ausgesprochen ernst. Damit wirken sie auf mich fast wie eine paradiesische Insel inmitten des brutalen Elends, das der Krieg über das gesamte Land gebracht hatte.

Wenn das nicht genug Material für einen Roman ist! Ich habe es gewagt, diese Geschichte in der Ich-Perspektive zu erzählen, denn ich wollte möglichst nah an die Gefühlswelt meiner Protagonistin heran. Noch sind einige Kapitel zu schreiben, aber was ich bisher mit ihr erlebt habe war ein wildes Auf und Ab, eine Achterbahnfahrt von Gefahr zu Hoffnung, von Angst zu Glauben, von überschwänglichem Glück zurück in die Hoffnungslosigkeit, bis sich endlich die Wogen glätten. Und je tiefer ich in den Zeitgeist eingetaucht bin, je mehr ich über die Haltung der Grafen und Fürsten las, desto mehr wuchs meine Bewunderung für diese Frauen. Ein bärenstarkes Stück Regionalgeschichte, dass meine Leser hoffentlich ebenso begeistern wird wie mich.
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