Wenn die Tage so sind …

Wenn die Tage so sind
Dass ich aufstehe, wenn ich wach bin
Dass ich arbeite, wenn ich Kraft habe
Und ruhe, wenn ich müde bin
Wenn ich die frische Luft des Waldes
Tief in meine Lungen saugen kann
Und mein Blick über weite Hügel
Und Felder streifen darf,
Dann ist Zufriedenheit
Dann ist Glück
Dann ist Ruhe in meiner Seele
Und Dankbarkeit in meinem Herzen
Denn ich bin.

Stehe ich auf vor dem Wachsein
Arbeite ich trotz Schwachsein
Quäle ich mich durch Müdigkeit
Dann wird mein Atmen zum Seufzen
Der Blick hängt fest am Boden
Und ich bin gehetzt, gestresst, überfordert
Mein Wunsch nach
Glück
Zufriedenheit
Greift ins Leere
verrottet im Nichts
Bis ich stumpf erfülle.

Funktionieren ist nicht Leben.

Genug davon.
Ich will
Dass meine Tage so sind
Dass ich bin.


Seit einigen Jahren kämpfe ich mit chronischer Erschöpfung. Was diesen Zustand verursacht, ist der Medizin so weit ich weiß noch ein Rätsel, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass wir Betroffenen uns irgendwie damit arrangieren müssen, dass am Ende der Kraft oft noch sehr viel Tag übrig ist. Pausen machen, Kräfte einteilen, Achtsamkeit, ein Blick auf die Ernährung – jeder und jede Betroffene muss seinen eigenen Weg finden.
Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, frage ich oft zurück, ob sie körperlich, geistig oder psychisch meinen. Es kann mir körperlich total schlecht gehen und ich bin trotzdem geistig hellwach und kreativ. Ich kann komplett gut gelaunt sein und nur Quatsch im Kopf haben, und trotzdem schnaufe ich nach einer viertel Stunde Unkraut zupfen, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
Oft genug ist es aber auch so, dass die körperlichen Einschränkungen mich frustrieren und meine Stimmung runterziehen. Glücklicherweise bin ich als Autorin und Übersetzerin selbständig und kann mir meine Zeit frei einteilen. Und da ich üblicherweise ein totales Arbeitstier bin, ist es auch nicht schlimm, wenn ich mal einen Tag durchhänge. Deadlines sind bei mir nicht dazu da, um sie einzuhalten. Deadlines sind dazu da, um mindestens zwei Wochen früher fertig zu werden. Fragt mich nicht, warum das so ist. Ich habe mir inzwischen wenigstens angewöhnt, die Deadlines großzügig zu bemessen, damit ich mich selbst nicht zu sehr unter Druck setze.

Es hat lange gedauert, bis ich meine ständige Müdigkeit und Kraftlosigkeit als Krankheit akzeptiert und nicht mehr als Charakterschwäche angesehen habe. Nein, ich bin nicht faul, wenn ich mich mehrmals am Tag hinlegen muss, um eine halbe oder auch ganze Stunde zu schlafen. Mein Körper braucht das. Wenn ich es nicht tue, mache ich mich kaputt. Ich muss es mir immer wieder sagen. Immer und immer wieder, denn die Welt um mich herum tickt ganz anders. Da wird von einem Termin zum anderen gehechtet, man muss Überstunden machen, man muss ins Fitness-Studio, man muss sich mit Freunden treffen, schick essen gehen, ins Kino, shoppen, Kurse besuchen und und und.
Wenn ich sage, dass ich das alles nicht brauche, werde ich dumm angeschaut. Verständnislos. Durchaus auch kritisch. Wie jetzt? Du brauchst das nicht? Dann stimmt mit dir was nicht. Natürlich sagt das niemand, aber – nun ja. So hat es auch gedauert, bis meine Freunde erfahren haben, wie es mir wirklich geht. Und die wirklich guten Freunde können damit umgehen, wenn ich nach einer Stunde Austausch sage: „Du, ich kann jetzt nicht mehr.“ Was hat es mich anfangs Mut gekostet, das zu sagen!
Für mich war der Lockdown zu Beginn der Corona-Pandemie das reinste Erholungsprogramm. Endlich keine Termine mehr! Die Welt war plötzlich so still ohne Auto- und Flugzeuglärm. Ich habe regelrecht aufgeatmet. Vielleicht liegt hier der Grund, warum ich meine historischen Romane vor der Zeit der Industrialisierung angesiedelt habe. Ich wollte hinein in diese Welt ohne Motoren und lärmende Maschinen, ohne dieses erhöhte Lebenstempo, zurück zu dem, was man mit den Händen fassen, mit den Füßen erlaufen und mit eigener Kraft schaffen kann. Zurück in ein langsameres Leben, so wie in dem Gedicht oben.
Wie geht es Dir in dieser schnellen Welt? Schreib mir gern einen Kommentar oder eine Mail. Ich freue mich über Austausch!

Ein Kommentar zu “Wenn die Tage so sind …

  1. Hallo Annettchen 😉
    Das Gedicht spricht mir sehr aus dem Herzen und ich kann es fühlen ……ja nachvollziehen .
    Ich hab seid 35 Jahren Depressionen und ich musste auch lernen auf meinen Körper zu achten ..
    und was mute ich meiner Seele zu ..
    Gott hat uns und viele andere Menschen zu sehr empfindsame Wesen gemacht und weisst du ,
    ich glaube das ist auch gut so …auch wenn es manchmal nervt —
    Die schnelllebigkeit dieser Welt ist auch für mich krass — und manchmal wünsch ich mir einfach nur Stille ..
    sei lieb gedrückt ..Karin 😉

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