Wie eine Introvertierte mit einer Preisverleihung klarkommt
Als ich in der Zeitung die Ausschreibung für den Lotto Kunstpreis 2019 zum Thema ‚Helden‘ sah, fiel mir sofort mein Sohn ein, der sich für einen Klassenkameraden gegen Mobbing stark gemacht hatte. Mit seinem Einverständnis schrieb ich die Geschichte auf – für mich in diesem Falle ein kleiner Kampf, denn mit begrenzter Wortzahl komme ich nicht gut zurecht. Mir gefiel an der Ausschreibung, dass es eine größere Jury geben würde und die Beiträge anonym eingereicht werden sollten. So war ich mir relativ sicher, dass die Texte unbeeinflusst vom Bekanntheitsgrad der Verfasser bewertet würden.
Nachdem monatelang nichts geschah, erhielt ich im November eine Einladung zur Preisverleihung – ob ich nun zu den Gewinnern zählte oder nicht, wurde nicht erwähnt. Offizielle Anlässe sind eher nicht so meine Welt, schon gar nicht, wenn ich weder den Ort noch die dort befindlichen Personen kenne. Trotzdem meldete ich mich an. Eigentlich hatte mein Mann mich begleiten wollen, aber dem grätschte eine Grippe dazwischen, sodass ich mich am 10.12.2019 allein ins Auto setzte und nach Koblenz fuhr. Koblenz. Ich war noch nie in Koblenz. Auf der Karte sah der Weg recht einfach aus, aber ich hatte die Rechnung ohne die mangelnde Straßenbeschilderung und die kuriose Verkehrsführung gemacht. (Nein, ich habe kein Navi.) Zum Glück war ich früh genug losgefahren und verfranste mich nicht so gravierend, dass ich zu spät kam.
Auf dem Parkplatz schnaufte ich erst einmal durch. Erste Hürde geschafft – ich bin da. Jetzt rein gehen, keinen kennen, mit fremden Leuten Smalltalk betreiben, nicht in Panik verfallen. Ich wurde an der Tür freundlichst begrüßt und direkt zur richtigen Örtlichkeit begleitet, was mir schon mal sehr half, meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Auch den Sektempfang bewältigte ich dank einiger freundlicher Menschen, die mich nicht komplett ignorierten. Dennoch suchte ich mir schnell einen Platz und wartete. Das tat ich ziemlich lange, denn die Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte sich angekündigt, war aber dummerweise eine halbe Stunde später eingeladen worden als alle anderen. Vielleicht war den Veranstaltern nicht bewusst, dass viele Autoren eher nicht so zu den Party-Hasen gehören.
Nachdem Frau Dreyer eingetroffen war, ging alles Schlag auf Schlag. Einige kurze Grußworte und schon begann die Verleihung. 183 Beiträge waren eingereicht worden, von denen 30 in die Anthologie aufgenommen wurden. Die ersten zehn Plätze wurden prämiert, Plätze fünf bis zehn gleichrangig und gebündelt, Plätze vier bis eins einzeln mit Laudatio. Ich lehnte mich entspannt zurück. Wenn meine Geschichte es ins Buch geschafft hätte, könnte ich schon stolz auf mich sein. Mit der Entspannung war es dann schlagartig vorbei, als mein Name aufgerufen wurde. Ich hatte es tatsächlich unter die zehn Besten geschafft! Was war ich froh, dass ich mein Outfit etwas eleganter gewählt hatte als die Dame in der pinken Jogginghose. Und dass der Moderator meinen Namen falsch notiert hatte, war auch eher nebensächlich. So stand ich nun mit meinen Autorenkollegen im Rampenlicht und lächelte in diverse Kameras. Auf dem einzigen Foto, das ich bisher auftreiben konnte, habe ich mich allerdings erfolgreich hinter einer deutlich kleineren Person versteckt. So etwas schafft auch nicht jeder.

Nach der Verleihung beschloss ich, noch zum Abendessen zu bleiben. Ich hatte Glück und fand eine ausgesprochen nette und interessante Gesprächspartnerin an meinem Tisch. Was für eine Erleichterung.
Während ich hier sitze und das schreibe, kann ich es noch immer kaum fassen. Meine kleine Geschichte über die Heldentat meines Sohnes hat die Jury offensichtlich berührt und einen Nerv getroffen. Ich darf stolz sein – auf meinen Sohn, der mich mit seiner Tat wirklich beeindruckt hat, und auf mich und meine Schreibkunst.
Natürlich habe ich mich auch auf der Rückfahrt verfahren, sodass ich fürchte, der wunderschöne Blumenstrauß wird nicht lange halten. Trotzdem bin ich wohlbehalten Zuhause angekommen, um einige Erfahrungen und ein Preisgeld reicher. Manchem mag es vielleicht seltsam erscheinen, dass so ein Event für mich so eine Heldentat darstellt. Sei froh, wenn Du solche Ängste nicht kennst und Dich frei und ungezwungen unter Menschen bewegen kannst. Ich kann es nicht und muss über jeden meiner Schritte nachdenken. Das ist sehr anstrengend, weswegen ich es oft vermeide. Ich, und viele andere Introvertierte auch. Wenn Du also das nächste Mal auf einer Party oder sonst einem Anlass bist und jemanden hilflos in der Ecke stehen siehst, sprich ihn doch an. Vielleicht ist es ein Introvertierter, der nur ein freundliches Wort braucht, um sich nicht völlig verloren zu fühlen.
Zu guter Letzt möchte ich Dir natürlich meinen Gewinnerbeitrag nicht vorenthalten. Viel Spaß beim Lesen!
Wer Freunde hat, braucht keine Helden
Das ist er also, der übelste Schläger der Jahrgangsstufe. Er sieht gar nicht so gefährlich aus. Trotzdem schnürt sich mir die Kehle zu, als ich sehe, wie Marko auf ihn zusteuert. Marko, der Kopf des Mobbing-Trios, das mir zwei Jahre lang das Leben zur Hölle gemacht hat. Keinen Schritt konnte ich tun, ohne von Beleidigungen bombardiert zu werden. Keinen Schritt ohne Kampf mit den Tränen, ohne geballte Fäuste in der Tasche, ohne hilflose Wut. Und jetzt das.
Kaum ist das Trio aufgelöst, kommt Robin. Dauernd in Prügeleien verwickelt. Letztes Jahr hat er sogar einem Mitschüler die Nase gebrochen. Wenn der sich mit Marko zusammentut, bin ich erledigt; werde nicht nur beschimpft, sondern auch noch verkloppt.
„Du bist kein Opfer“, haben meine Eltern mir gesagt. „Was die reden sind Lügen. Du bist ein toller Kerl, genau so wie du bist.“ Ich will das glauben. Ich will nicht mehr auf Marko hören und mich wertlos fühlen. Ich will mich wehren! Wie oft habe ich mir gewünscht, dass irgendein Superheld angeflogen kommt und das Mobbing-Trio so richtig zerlegt? Ist aber nicht passiert.
„He, Nasenbrecher, wenn du das bei mir versuchst, mach ich dich platt!“, höre ich Marko rufen. Er lacht blöde und zeigt Robin den Stinkefinger. Mir bricht kalter Schweiß aus und ich beginne zu zittern. Nichts wie weg hier. Bestimmt geht gleich die Schlägerei los. Aber meine Füße bewegen sich nicht. Wie gelähmt stehe ich da und starre Robin an, warte auf seine Reaktion. Er prügelt nicht gleich drauf los. Stattdessen hat er die Zähne fest zusammengebissen. Seine Augen schwimmen. Die Finger krallen sich so heftig um die Träger seines Ranzens, dass sie ganz weiß sind. Unmerklich schüttelt er den Kopf. Plötzlich weiß ich es ganz genau. Er will das nicht. Er ist kein Schläger. Marko provoziert ihn weiter, lacht ihn aus, beleidigt ihn. Es ist nicht fair, einen so lange zu ärgern, bis er ausrastet und dann zu sagen, er sei gefährlich! Ich werde wütend. Bevor ich weiß, was ich tue, stehe ich zwischen Robin und Marko.
„Lass ihn in Ruhe“, sage ich.
„Was willst du denn, du Null? Du hast hier gar nichts zu melden!“ Die Worte stechen mir sengend heiß in die Brust, aber ich will sie nicht mehr glauben. Jetzt ist Schluss. Ich schubse Marko weg. „Lass ihn in Ruhe“, wiederhole ich und merke, wie mir heiß wird vor Aufregung. Marko flippt aus. Er will mir eine ballern, aber ich halte ihn am ausgestreckten Arm auf Abstand. Es macht ihn rasend, dass er kleiner ist und nicht an mich ran kommt. Wieder beschimpft er mich und mir platzt der Kragen. Ich schlage zu. Als der Lehrer kommt, liegt Marko heulend am Boden. Im Austeilen ist er besser als im Einstecken. Robin erzählt, wie alles gekommen ist. Der Lehrer sieht mich verwundert an. Ich spüre seinen Respekt, weil ich mich für meinen Mitschüler eingesetzt habe. Trotzdem bekomme ich eine Strafe. Marko auch. Prügeln ist keine Lösung. Ich sehe das ein und wollte das ja auch gar nicht. Aber ich bin kein Opfer. Und auch sonst niemand. Während ich nach der Schule die Pausenhalle schrubbe, bin ich irgendwie stolz auf mich. Robin weiß jetzt, dass er einen Freund in der Klasse hat, der zu ihm steht. Ob ich für ihn ein Held bin? Ich lache vor mich hin. Nein, wer Freunde hat, braucht keine Helden.
