Die Sprache ist zu modern!

Als Autorin historischer Romane ist mir dieser Vorwurf schon mehrfach untergekommen und ich muss gestehen, dass er mich erheitert. Meine Romane sind im 17. Jahrhundert angesiedelt und seien wir mal ehrlich: Würde ich sie in authentischer Sprache schreiben, würde kein Mensch sie lesen. Beweisstück A:

Geliebte im Herrn / E. Christl. Liebe ist wehemütig zuermelden / was massen der Allmächtige Gott / anch seinem weisen Raht und Willen / des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn Herrn Johann Georgens / Herzogs zu Sachsen Unsers gnädigsten Fürsten und Herrns / freundlich vielgeliebte SchwiegerFrauMutter / die weiland Hochgeborene Gräfin und Frau / Frau Loysen Julianen, Gräfin zu Sayn und Witgenstein / gebohrne Gräfin von Erbach / Wittbe / nunmero Christseel. Gedächtnüß / den … zwischen … und … Uhr / von dieser zergänglichen Welt durch den zeitlichen Tod vermittelst eines sanft und seeligen Endes / abgefordert / und der Seelen nach / ohnzweiflich zu sich in die ewige Freude und Seeligkeit versetzet hat.

Ich habe während meiner Recherchen inzwischen verschiedene Zeitdokumente wie den obigen Nachruf auf Gräfin Louise Juliane von Sayn und Wittgenstein von 1670 (Auszug) gelesen und dabei festgestellt, dass Grammatik und Satzzeichen eine relativ neue Erfindung sein müssen, ebenso wie Rechtschreibung. Im oben zitierten Absatz sieht das alles noch recht harmlos aus, aber in anderen Texten brauchte man schon extrem viel Fantasie, um überhaupt etwas zu verstehen. Da wurde gern mal das gleiche Wort in vier verschiedenen Varianten geschrieben und Sätze gab es nicht. Es war einfach nur eine Aneinanderreihung von Worten, eine endlose Schlange, an deren Ende man eine Ahnung vom Willen des Schreibers hatte. Wie beispielsweise dieser Schirm- und Schutzbrief von Kaiser Ferdinand III. von 1639, den ich in mühevoller Kleinarbeit transkribiert habe, und zwar weitestgehend so, wie er dort abgedruckt ist. (Zum Glück abgedruckt, die Handschriften sind ja dann noch einmal eine ganz andere Herausforderung!) Die verschiedenen Schreibweisen des Wortes und habe ich ignoriert (unnd, vnd, unnt usw.). Beweisstück B:

Hier ein kleiner Auszug aus dem obigen Text zur Veranschaulichung:
Ob wohlen Uns als Oberisten Vogt Schutz und Schirm Herr/auß kayserlichem Ampt in alleweg obligend gebührt/alle und jegliche Unsere und deß Heiligen Reichs Stände und Underthanen/sampt Ihren Haab und Güteren/auch Zugehörigen und Verwandten/sonderlich den diesen gegenwertigen gesehenen Läufften und Zeitten/vor aller vergwaltigung/nachtheil und schaden/zu schutzen und zu schirmen/und dieselbe bey Ihren rechtmessig erlangten Freyheiten/Privilegen/Immuniteten/Recht und Gerechtigkeiten /zu erhalten und handezuhaben.
Alles klar, oder?

Der Vorwurf von zu moderner Sprache prallt also recht schmerzfrei an mir ab. Trotzdem stelle ich mir natürlich die Frage, warum ein solcher Vorwurf – so sinnfrei er auch sein mag – gemacht wird. Was steckt dahinter?
Wer historische Romane liest, möchte das Gefühl haben, in eine andere Zeit versetzt worden zu sein, und dabei stellen zu moderne Worte einen Störfaktor dar. Das kann ich durchaus nachvollziehen und versuche das auch zu vermeiden. Keiner meiner Charaktere wird jemals sagen: „Is ja cool!“ Nun ist das Empfinden allerdings sehr individuell, was modern ist und was nicht.

Für mich ist die verwendete Sprache nur ein geringer Teil der Atmosphäre, mit der ich den Leser in die Zeit eintauchen lasse, und hierin liegt auch der Grund, warum ich mich von solch altertümlicher Wortwahl fernhalte: Ich schreibe für ein modernes Publikum. Die Menschen, die meine Romane lesen, sollen sich nicht an merkwürdigen Formulierungen aufhalten müssen, die sie in ihrem Verständnis und Lesefluss behindern. Die Sprache, mit der ich meine Geschichten erzähle, soll so gestaltet sein, dass der Leser sie vergisst. Sie soll Stimmungen erzeugen, Bilder malen und Gefühle transportieren, sodass er gar nicht mehr merkt, dass er liest. Und dafür muss ich eine Sprache verwenden, die eingängig und leicht zu verstehen ist.

Bei aller Liebe zum Detail und dem Wunsch nach Authentizität kann und will ich an dieser Stelle keine Abstriche machen. Worte sind meine Farben, mit denen ich Bilder in Deinen Kopf male. Das ist mein Motto und es erfüllt mich mit Stolz, wenn meine Bücher als bildgewaltig beschrieben werden, oder wenn Leser mir sagen: „Ich hatte das Gefühl, dass ich direkt in der Handlung stand!“ Das ist mein Ziel. Und dafür benutze ich eben moderne Sprache. Wie siehst Du das?

P.S.: Falls jemand den Wunsch verspürt, die gesamte Abschrift des Schutzbriefes zu lesen, darf er mir gern eine Nachricht schicken.

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